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Die Leiden des jungen Bloggers

Oswaldo Guayasamin © – equadorianischer Künstler, gefunden auf Wikiart.org

Ich bin mittlerweile seit knapp einem Jahr arbeitslos …

Dabei habe ich während dieser Zeit ca. 150 Bewerbungen abgeschickt. Meistens bekomme ich Absagen.

Zu meinem Hintergrund: Ich habe VWL studiert, in Heidelberg und Jena. Die größte Zeit davon habe ich allerdings in Kneipen verbracht statt in der Bibliothek. Ich führte ein wildes Studentenleben, das geprägt war von Alkoholeskapaden und Weibergeschichten. Währenddessen arbeitete ich im Call Center und verkaufte Zeitungen wie der Wolf of Wallstreet Pennystocks. Ich kam sogar auf die glänzende Idee, zwischendurch mal ein Auslandssemester auf Bali zu verbringen.

Ich habe also früh und reichlich von den Früchten des Lebens gekostet. Als Hedonist erster Güte hätte ich eine Auszeichnung verdient gehabt. Doch die Vergnügungssucht hatte auch ihre Schattenseiten – und stellte sich im Nachhinein betrachtet als ein wenig kurzsichtig heraus.

Denn ich machte mir keine weiteren Gedanken über meine berufliche Zukunft. Wird schon werden, dachte ich mir. Schließlich bin ich nicht auf den Kopf gefallen, gut vernetzt und hatte mir in unzähligen Kneipenabenden einiges an Charisma angesoffen – hübsche Frauen konnte ich ganz gut von mir überzeugen – dann doch sicher auch einen attraktiven Arbeitgeber.

Nach einem Gap Year, dass ich mit diversen Praktika verbrachte, zog es mich nach Jena. In der thüringischen Heimat war ich nah am elterlichen Domizil, konnte also wann immer ich wollte auf die Inhalte eines reich gefüllten Kühlschranks zugreifen. Neben den Kochkünsten meiner Mutter genoss ich ein neu etabliertes, wöchentliches Ritual mit meinem Vater: einmal die Woche gings in die Sauna.

Noch immer wusste ich nicht, wo s später mal beruflich lang gehen sollte. Ich erkundigte mich zwar beim Karriereservice der Uni, doch die konnten mir kaum weiterhelfen. Ich dachte mir, dass es zumindest hilfreich sei, diesmal nicht so halbherzig zu studieren wie in HD. Ich hatte den Ehrgeiz, diesmal sehr gute Klausuren und Aufsätze zu schreiben und tief in die Materie einzutauchen. VWL galt ja als ein Fach, das viele Topmanager und politische Entscheidungsträger hervorgebracht hatte. Meine Mission war also, ein guter Ökonom zu werden – und mir diese Optionen somit zumindest offenzuhalten.

Daher legte ich mich ins Zeug und es gelang es mir, sehr gute Leistungen zu erzielen. Mit einem Schnitt von 1,3 im Gepäck und einer brillanten Masterarbeit, mit der ich in einer breit angelegten Analyse der Weltwirtschaft mit allem abgerechnet hatte, was mir an der Mainstream-Ökonomie stank, stolzierte ich Ende Oktober 2019 auf den Arbeitsmarkt.

Ich hatte mich intensiv mit volkswirtschaftlichen Ideen, die unser heutiges Wirtschaftssystem (und damit große Teile unseres Lebens) untermauern, kritisch auseinandergesetzt. Faszinierend fand ich, wie die Menschheit seit Beginn der industriellen Revolution solch unglaublichen materiellem Wohlstand hervorgebracht hat.  Das muss man sich vor Augen halten, wenn man unser Wirtschaftssystem kritisiert.

Allerdings halte ich es für eine gefährliche Tendenz der Linken, alles was ihrem Leben schief läuft aufs „System“ zu projizieren und sich selbst damit von jeder Eigenverantwortung freizusprechen. Ich selbst bezeichne mich dennoch als links (falls solche Kategorisierungen heute überhaupt noch gelten), da ich überzeugt bin, dass Kritik an unserem wirtschaften berechtigt ist und umfassende Reformen (wenn nicht sogar ein Systemwechsel) nötig sind, um den sozialen Frieden zu wahren und unser Ökosystem zu schonen. Doch die beste Strategie, davon bin ich überzeugt, ist zunächst einmal bei sich selbst anzufangen.

Das war auch einer der Gründe, dass ich vorm Start in die Arbeitswelt noch einen kleinen Umweg einlegen wollte. Für Mitte Februar einen 10 tägigen Vipassana Meditationskurs gebucht. Diese intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Geist sollte den endgültigen Abschluss meiner Ausbildung darstellen.

Der Kurs war sehr bereichernd, doch als ich das Camp verließ und wieder mit der Außenwelt in Kontakt kam, traf mich die Nachrichten meiner Freundin wie ein Schlag ins Gesicht: Eine Pandemie war dabei, sich weltweit zu verbreiten uns sorgte für Angst und Schrecken. Schöne Scheiße. Genau diese Pandemie sollte schon bald die größte wirtschaftliche Rezession seit der Großen Depression Anfang des 20. JH auslösen. Nicht unbedingt ein idealer Zeitpunkt, um Bewerbungen zu schreiben… aber eine gute spirituelle Übung.

Ich war reflektiert genug, um zu wissen, dass nicht nur die Pandemie für die vielen Absagen verantwortlich war. Mir war nie klar wo ich beruflich hinwollte – und dafür büße ich nun. Als mathematisch versierter Generalist bin ich außerdem jemand, der auf kein Arbeitsfeld spezialisiert ist und daher das Nachsehen hat, wenn es darum geht, eine Position passgenau zu besetzen. Ich war immer davon ausgegangen, dass Firmen mir schon noch beibringen werden, was sie speziell benötigen und mein breites Hintergrundwissen dabei ein gutes Fundament darstellt. Doch bisher zeigte sich kein Arbeitgeber gewillt, mich auszubilden… die nachgefragten Skills muss ich schon selber mitbringen.

Das Platzen meiner naiven Vorstellungen über den Jobmarkt – und meine Stellung darin – hat dazu geführt, dass ich mich nun Intensiv damit auseinandersetzen musste. Die bittere Ironie ist hierbei, dass meine ökonomischen Kenntnisse mir zwar auf dem Arbeitsmarkt keine nennenswerten Vorteile bringen, ich damit aber genau analysieren kann, welche Dynamiken am Arbeitsmarkt dafür sorgen, dass es für mich grade düster aussieht. Der Aufstieg von AI und Robotern, demografischer Wandel, Energiewende und Globalisierung sind Phänomene von hoher volkswirtschaftlicher Relevanz.

Wir erleben zurzeit einen radikalen Umbruch der Wirtschafts- und Arbeitswelt. IT- Leute, Ingenieure und Naturwissenschaftler werden händeringend gesucht. Doch kaum jemand scheint einen 29-jährigen Klugscheisser gebrauchen zu können, der ewig studiert hat und von sich behauptet, einen    “Blick fürs große Ganze“ zu haben. Momentan bin ich, aus ökonomischer Perspektive zumindest, nutzlos für die Gesellschaft. Ich nehme keine produktive Stellung innerhalb unseres Wirtschaftssystems ein. Da ich kein Student mehr bin, ist das gesellschaftlich stigmatisiert und so mach einer rümpft die Nase verächtlich. Doch ich bin mir sicher, dass es viele gibt, denen es genauso geht wie mir. Grade für junge Leute ist es zurzeit schwer, einen Fuß in die Tür eines Unternehmens zu kriegen.

Statt mich zu beklagen will ich das Beste aus meiner Situation machen, indem ich eben doch versuche, anderen nützlich zu sein. Indem ich meine Fähigkeiten dazu einsetze, um in der Krise Orientierung zu bieten. Zum Beispiel durch Analyse unseres Wirtschaftssystems, des Umbruchs und den damit einhergehenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Ich werde zeigen, wo die Chancen unserer Generation liegen. Wie kann man sich optimal vorberieten auf das, was kommt? Sich selbst besser kennenlernen? Dazu und zu anderen Themen gibt’s jetzt hier wöchentlich einen Artikel serviert. Und hin und wieder auch eine von mir gezeichnete Karikatur.

Der Blog ist für die, denen es so ähnlich geht wie mir. Die nicht immer genau wussten, was sie nun genau mit Ihrem Leben anstellen sollen, da sie von der schieren Bandbreite der Möglichkeiten überwältigt waren. Die, die Ihr Leben nicht als ein einziges, ewig langes Bewerbungsgespräch betrachteten haben, sondern lebten, um ihren Horizont zu erweitern und frei zu sein.

Nicht zuletzt ist dieser Blog auch ein Instrument für mich, Hilfe zur Selbsthilfe sozusagen… , um Neues dazuzulernen, und das Neudazugelernte zu verarbeiten. Dabei halte ich es wie der Physiker Richard Feynmann: Erst wenn man etwas  in einfachen Worten erklären kann, hat man es richtig verstanden. 

1 Kommentar

  1. A WordPress Commenter

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